Aus § 311 BGB ergibt sich, dass einmal geschlossene Verträge nur dann geändert oder aufgelöst werden können, wenn beide Vertragsparteien damit einverstanden sind. Demzufolge sind Werk-, Dienst-, Kauf- und sonstige Verträge prinzipiell einzuhalten – und das gilt selbst dann, wenn eine Vertragspartei die eingegangene Verpflichtung später bereut.
In besonderen Einzelfällen kann sich jedoch die Notwendigkeit ergeben, einer Vertragspartei zu gestatten, sich von der eingegangenen Vertragsbindung einseitig wieder zu lösen. Gründe hierfür können etwa die besondere Schutzwürdigkeit einer Vertragspartei, Irrtümer bei Vertragsschluss oder sogar widerrechtliches Verhalten des Vertragspartners sein.
Um in diesen besondere Fällen eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden, sieht das Gesetz sowohl Anfechtungs- als auch Widerrufsrechte vor, die unter bestimmten Voraussetzungen die einseitige Beendigung eines Vertragsverhältnisses erlauben.
Welche Konsequenzen sich dabei aus Anfechtung und Widerruf ergeben, wo die Unterschiede zwischen den beiden Gestaltungsrechten liegen und wann ihre Ausübung überhaupt in Frage kommt, zeigen wir hier.
Anfechtung | Widerruf | |
---|---|---|
Bei welchen Vertragsarten möglich? | Prinzipiell bei allen Vertragsarten möglich | Nur wenn gesetzlich vorgesehen oder vereinbart. Insbesondere: Fernabsatz- und Kreditverträge zwischen Verbraucher und Unternehmer |
Sonstige Voraussetzungen? | Es muss ein gesetzlicher Anfechtungsgrund vorliegen. | Auch ohne Angabe von Gründen möglich |
Welche Fristen sind vorgesehen? | Unverzüglich nachdem Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt wurde | 14 Tage nach Erhalt der Ware bzw. Vertragsschluss |
Welche Folgen ergeben sich? | Der Anfechtungsberechtigte wird u.U. schadenersatzpflichtig | Kein Schadenersatz - lediglich erhaltene Leistungen müssen zurückgegeben werden. |
Der Widerruf als Verbraucherrecht
Dem Bürgerlichen Gesetzbuch liegt das Prinzip der Vertragstreue („Pacta sunt servanda“) zu Grunde. Dementsprechend sind einmal geschlossene Verträge einzuhalten und für beide Parteien bindet. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn Verträge zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossen werden. Aus diesem Grunde ist gesetzlich auch kein generelles Rückgabe- oder Widerrufsrecht für von Verbrauchern geschlossene Verträge vorgesehen.
Dennoch gibt es einige besondere Fälle, in denen es geboten erscheint, den Verbraucher nachträglich allein über das Bestehen oder Nichtbestehen des geschlossenen Vertrags entscheiden zu lassen. Vorkommen kann das insbesondere in Situationen, in denen der Verbraucher sich entweder erst nachträglich ein genaues Bild vom geschlossenen Vertrag bzw. des Vertragsgegenstandes machen kann oder der Vertragsschluss eine besonders weitreichende, langfristige Verpflichtung mit sich bringt.
Um die Möglichkeit, einmal geschlossene Verträge zu widerrufen, nicht ausufern zu lassen, sind Widerrufsrechte prinzipiell aber nur dann vorhanden, wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben sind. Ist ein Widerrufsrecht gesetzlich nicht ausdrücklich normiert, kann es nur dann bestehen, wenn die Vertragsparteien es selbst einvernehmlich vereinbart haben.
Gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sind Widerrufsrechte – neben einigen Spezialfällen – insbesondere dann, wenn:
- ein Verbraucher Waren bei einem Unternehmer aus der Ferne bestellt (312c BGB),
- an der Haustür kauft (312b BGB) oder
- ihm ein entgeltliches Darlehen von einem Unternehmer (491 BGB) gewährt wird.
Insbesondere in diesen Fällen soll der Verbraucher geschützt und ihm die Möglichkeit gegeben werden, sich innerhalb einer bestimmten Frist und ohne Angabe von Gründen wieder vom Vertrag zu lösen.
Zu beachten ist bei diesem Widerrufsrecht jedoch:
- Das sogenannte Verbraucher-Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB gilt nicht bei Verträgen zwischen Privatpersonen bzw. zwischen Unternehmern.
- Das Verbraucher-Widerrufsrecht gilt nicht für alle Vertragsarten. Anwendung findet es insbesondere auf Kreditverträge und bei der Bestellung von Waren aus der Ferne (telefonisch, online etc.).
- Das Verbraucher-Widerrufsrecht muss innerhalb von 14 Tagen ausgeübt werden.
Ausübung des Widerrufsrechts
Wie bereits erwähnt, existiert nicht bei allen von einem Verbraucher geschlossenen Verträgen auch ein Widerrufsrecht. Insbesondere in den oben genannten besonderen Konstellationen ist ein Widerrufsrecht gesetzlich jedoch ausdrücklich vorgesehen.
Wird einer dieser besonderen Verträge von einem Verbraucher abgeschlossen, soll ihm gesetzlich eine bestimmte Bedenkzeit eingeräumt werden. Innerhalb dieser Frist – der Widerrufsfrist – darf der Verbraucher seine Meinung ändern und sich einseitig vom Vertragsschluss lösen, ohne dafür Gründe angeben oder das Einverständnis des Vertragspartners erbitten zu müssen.
Stattdessen kann sich der Verbraucher …
- innerhalb einer 14-tägigen Frist
- einseitig und ohne Angabe von Gründen
- durch ausdrückliche Erklärung des Widerrufs
- gegenüber dem Unternehmer
… von dem geschlossenen Vertrag lösen.
Es reicht dabei aus, den Widerruf per Mail oder Post schriftlich zu erklären. Sofern der Verbraucher eine Kaufsache erhalten hat, muss diese innerhalb von 14 Tagen nach Absendung des Widerrufsschreibens an den Unternehmer zurückgesendet werden.
Die Anfechtung als besonderes Gestaltungsrecht
Widerrufsrechte gewähren nur in speziellen Fällen – insbesondere bei Verbraucherverträgen – die gesetzlich ausdrücklich normierte Möglichkeit, sich rückwirkend von bestimmten Verträgen zu lösen. Unter besonderen Voraussetzungen kann es jedoch erforderlich sein, alle Arten von geschlossenen Verträgen rückwirkend („ex tunc“) aufzuheben, ohne hierfür die Zustimmung des Vertragspartners einholen zu müssen.
Für diese Sonderfälle hält das Bürgerliche Gesetzbuch die Möglichkeit bereit, alle Arten geschlossener Verträge durch Anfechtung rückwirkend zu beseitigen. Die Anfechtung eines Vertrages soll jedoch eine absolute Ausnahme darstellen. Um dies zu gewährleisten, müssen zu ihrer Ausübung darum gleich mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die Anfechtung muss ausdrücklich erklärt werden. Anders als beim Widerruf kann die Anfechtungserklärung jedoch vollkommen formfrei auch mündlich abgegeben werden.
- Es muss ein Anfechtungsgrund vorliegen. Anders als der Widerruf, ist die Anfechtung stets zu begründen. Gründe, die eine Anfechtung rechtfertigen können, sind gesetzlich abschließend geregelt.
- Die Anfechtungsfrist muss eingehalten werden. Das bedeutet: Der Anfechtungsberechtigte muss sich – nachdem er Kenntnis vom Vorliegen eines Anfechtungsgrundes erlangt hat – unverzüglich entscheiden, ob er die Anfechtung erklären möchte oder nicht.
Vorliegen eines Anfechtungsgrundes
Wie schon erwähnt, ist die Anfechtung eines Vertrages nur dann möglich, wenn hierfür ein besonderer Grund vorliegt. Die Umstände, die eine Vertragsanfechtung rechtfertigen können, sind gesetzlich abschließend geregelt.
Die gesetzlich vorgesehenen Gründe einer Vertragsanfechtung sind insbesondere:
- Irrtümer
- Falsche Übermittlung der Vertragserklärung
- Die arglistige Täuschung bzw. eine widerrechtliche Drohung bei Vertragsschluss durch den Vertragspartner
Anfechtung wegen Irrtums
Irrtümer, die zur Anfechtung eines geschlossenen Vertrages berechtigen, sind in § 119 BGB normiert. § 119 Abs.1, Fall 2 BGB eröffnet dabei die Möglichkeit, einen Vertrag dann rückgängig zu machen, wenn sich der Erklärende bei Vertragsschluss vergreift, verspricht oder verschreibt (Erklärungsirrtum).
§ 119 Abs. 1, Fall 1 BGB hingegen ermöglicht eine Anfechtung dann, wenn der Erklärende zwar bei Vertragsschluss das äußert, was er äußern möchte, sich jedoch über Bedeutung oder Inhalt seiner Erklärung irrt.
Beispiel: Der Käufer verlangt ein Dutzend Eier und meint, bei einem Dutzend handle es sich um 6 anstatt 12 Eier.
Anfechtung wegen falscher Übermittlung
Gemäß § 120 BGB liegt ein Anfechtungsgrund auch dann vor, wenn eine Vertragserklärung von einem Dritten oder einer dafür vorgesehenen Einrichtung (z.B. dem Online-Bestellformular) falsch übermittelt wird.
Anfechtungsgrund: Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Gesetzlich ist vorgesehen, dass eine Anfechtung auch dann möglich sein soll, wenn sich der Erklärende bei Vertragsschluss über wesentliche Eigenschaften des Vertragsgegenstandes geirrt hat. Allerdings sollen hierbei nur Irrtümer über solche Eigenschaften zur Anfechtung berechtigen, die nach der Verkehrsanschauung von wesentlicher Bedeutung für Wert oder Verwendbarkeit der Kaufsache sind.
Eine Anfechtung nicht rechtfertigen können hingegen sogenannte Motivirrtümer. Ein Motivirrtum liegt immer dann vor, wenn sich eine Vertragspartei über Eigenschaften des Vertragsgegenstandes irrt, die nur subjektiv von Bedeutung sind, den generellen Wert oder die Nutzbarkeit des Vertragsgegenstandes aber nicht schmälern.
Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung
§ 123 BGB sieht vor, dass eine Vertragserklärung auch dann rückwirkend beseitigt werden kann, wenn der Erklärende durch Drohung oder Täuschung zum Vertragsschluss bestimmt worden ist.
Die Folgen von Anfechtung und Widerruf
Wie zuvor erwähnt, besteht die Möglichkeit, sich durch Widerruf innerhalb einer 14-tägigen Frist von einem geschlossenen Vertrag zu lösen, nur in besonderen, gesetzlich festgelegten Fällen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Widerrufsrecht ausdrücklich und individuell bei Vertragsschluss vereinbart worden ist.
Liegt ein Widerrufsrecht vor, ist es unkompliziert möglich, sich innerhalb von 14 Tagen und ohne Angabe von Gründen vom geschlossenen Vertrag zu lösen. Umso ärgerlich ist es, wenn es einen Vertragspartner reut, eine Verpflichtung eingegangen zu sein, die Frist eines bestehenden Widerrufsrechts jedoch abgelaufen ist oder ein solches gar nicht erst bestand.
In solchen Fällen kann es verlockend sein, sich durch Anfechtung rückwirkend von der ungeliebten Verpflichtung lösen zu wollen. Schließlich besteht die Möglichkeit der Anfechtung bei allen Arten von geschlossenen Verträgen.
Zu beachten ist hierbei jedoch:
Eine Anfechtung kann nur dann in Frage kommen, wenn einer der oben genannten Anfechtungsgründe tatsächlich vorliegt. Ist das der Fall, muss die Anfechtung unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – gegenüber dem Vertragspartner erklärt werden.
Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, die Anfechtung unter Umständen erst längere Zeit nach Vertragsschluss zu erklären. Wie beim Widerruf eines Vertrages auch, sind die jeweils erhaltenen Leistungen (z.B. Kaufpreis und Kaufgegenstand) dann gegenseitig zurückzugewähren.
Ein wesentlicher Unterschied zum Widerruf ergibt sich jedoch außerdem aus § 122 BGB:
Dieser sieht vor, dass derjenige, der sein Anfechtungsrecht aufgrund eines Irrtums oder einer falschen Übermittlung ausübt, dem Vertragspartner gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein soll. Hierbei ist der Schaden zu ersetzen, den der andere Teil aufgrund seines Vertrauens auf den Bestand des Vertragsschlusses erlitten hat.