Verträge – ganz gleich, wo und wie sie geschlossen wurden – sind prinzipiell von beiden Vertragsparteien einzuhalten und wirken stets bindend. Soll der Kauf-, Werk-, Dienst- oder ein sonstiger Vertrag nachträglich geändert oder aufgelöst werden, ist hierzu gemäß § 311 BGB stets das Einverständnis beider Vertragsparteien notwendig.
In Einzelfällen kann jedoch auch die Möglichkeit bestehen, sich einseitig durch Vertragsanfechtung von der ungewollten Verpflichtung zu lösen. Wir zeigen, wann diese Möglichkeit besteht, welche Konsequenzen sich aus der Vertragsanfechtung ergeben und inwiefern sich die Anfechtung von Kündigung und Wiederruf unterscheidet.
Vertragsanfechtung vs. Kündigung und Widerruf
Wie eingangs erwähnt, sind einmal geschlossene Verträge stets einzuhalten und für beide Parteien binden. Reut eine Partei die eingegangene Verpflichtung, sieht das Gesetz grundsätzlich nur die Möglichkeit vor, sich mit dem Vertragspartner einvernehmlich über die Auflösung des geschlossenen Vertrages zu einigen. Verweigert der andere Teil seine Zustimmung hierzu jedoch, ist eine Auflösung prinzipiell nicht möglich.
Etwas anders sieht es allein dann aus, wenn vertraglich ein Kündigungsrecht vereinbart worden ist. Das ist insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen (Miete, Darlehen oder bei einem Arbeitsvertrag) der Fall. Besteht ein solches Kündigungsrecht, ermöglicht es einer oder beiden Vertragsparteien, das Vertragsverhältnis ab einem gewissen Zeitpunkt und für die Zukunft (lateinisch: ex nunc) zu beenden.
Allerdings gibt es auch Fälle, in denen es geboten erscheint, eine Vertragspartei allein über das Schicksal des geschlossenen Vertrags entscheiden zu lassen. Gründe hierfür können beispielsweise der Schutz des am Vertragsschluss beteiligten Verbrauchers, Irrtümer einer Vertragspartei oder auch widerrechtliches Verhalten des Erklärungsempfängers sein.
Liegt ein solcher Sonderfall vor, hat derjenige, der sich vom Vertrag lösen möchte, außerdem oft ein Interesse daran, das Vertragsverhältnis auch rückwirkend (lateinisch: ex tunc) aufzuheben. Der Betroffene möchte schließlich so gestellt werden, als wäre es niemals zum Vertragsschluss gekommen.
Gestaltungsrechte, die einer Vertragspartei eine solche Möglichkeit der Rückgängigmachung einräumen, sind sowohl der Vertragswiderruf als auch die Vertragsanfechtung.
- Ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB steht üblicherweise nur Verbrauchern zu – es sei denn, es wurde anderweitig vertraglich vereinbart.
- Das Verbraucher-Widerrufsrecht gilt nur für aus der Ferne (telefonisch, online etc.) geschlossene Verträge.
- Das Verbraucher-Widerrufsrecht kann nur innerhalb von 14 Tagen ausgeübt werden.
- Das Verbraucher-Widerrufsrecht ist auf viele Waren und Dienstleistungen (z.B. Reiseverträge) nicht anwendbar.
Liegen bestimmte Sondervoraussetzungen vor, ist es jedoch notwendig, alle Arten geschlossener Verträge rückwirkend (ex tunc) aufheben zu können, ohne dass hierfür die Zustimmung des Vertragspartners notwendig wäre. Und genau für diese besonderen Fälle sieht das Bürgerliche Gesetzbuch die Möglichkeit der Vertragsanfechtung vor. Da diese jedoch eine absolute Ausnahme für wenige Sonderfälle darstellen soll, müssen stets mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Die Anfechtungserklärung
Selbstverständlich muss die Entscheidung, den Vertrag anfechten zu wollen, dem Vertragspartner mitgeteilt werden. Hierfür ist eine Anfechtungserklärung gegenüber dem Vertragspartner erforderlich.
Diese ist allerdings formfrei und kann somit schriftlich, telefonisch, mündlich oder auch per Mail übermittelt werden.
2. Der Anfechtungsgrund
Wie bereits erwähnt, soll die Vertragsanfechtung eine „Ausnahmelösung“ für bestimmte Sonderfälle sein. Darum muss, um das Anfechtungsrecht überhaupt wirksam ausüben zu können, ein plausibler Anfechtungsgrund vorliegen.
Welche Umstände eine Vertragsanfechtung ermöglichen, ist gesetzlich abschließend geregelt. Andere als die gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsgründe kommen darum nicht in Betracht.
Die gesetzlich normierten Gründe für eine Vertragsanfechtung sind insbesondere:
- Irrtümer
- Falsche Übermittlung der Vertragserklärung
- Arglistige Täuschung bzw. widerrechtliche Drohung bei Vertragsschluss
Anfechtungsgrund: Erklärungsirrtum
Irrtümer, die zur Vertragsanfechtung berechtigen, können in verschiedenen Formen vorliegen. Die wohl wichtigste Irrtumsform ist dabei der in § 119 Abs.1, Fall 2 BGB geregelte Erklärungsirrtum.
Ein solcher liegt etwa dann vor, wenn sich der Erklärende bei Abgabe seiner Vertragserklärung verschreibt, verspricht oder vergreift. Ist das der Fall, entspricht die abgegebene Erklärung nicht dem wirklichen Willen des Erklärenden.
Anfechtungsgrund: Inhaltsirrtum
Ein Inhalts- oder auch Geschäftsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1, Fall 1 BGB liegt vor, wenn die Vertragserklärung zwar äußerlich dem Willen des Erklärenden entspricht, dieser sich jedoch über Inhalt oder die Bedeutung seiner Erklärung irrt.
Beispiel: Der Käufer bestellt ein Dutzend Handyladekabel, um in jedem Raum seines Hauses eines bereit legen zu können. Dabei meint er, „ein Dutzend“ hieße „sechs“, obwohl es tatsächlich „zwölf“ heißt.
Anfechtungsgrund: falsche Übermittlung
In § 120 BGB ist geregelt, dass ein Anfechtungsgrund auch dann vorliegt, wenn ein Dritter oder die dafür vorgesehenen Einrichtungen (z.B. ein Online-Bestellformular) eine richtige und gewollte Vertragserklärung falsch übermitteln.
Anfechtungsgrund: Irrtum über wesentliche Eigenschaften
Ein solcher Irrtum liegt vor, wenn der Erklärende zwar das erklärt, was er erklären wollte, sich dabei aber über eine wesentliche Eigenschaft des Vertragsgegenstandes irrt.
Beispiel: Der Käufer besichtigt ein Wohnmobil, das ihm zusagt und welches er gerne kaufen möchte. Später stellt sich heraus, dass der Motor des ansonsten verkehrstüchtigen Wohnmobils nicht im Preis inbegriffen sein sollte und er ihn gesondert erwerben muss.
Der Motor des Wohnmobils ist hier nach der Verkehrsanschauung für den Wert und die Verwendbarkeit des Gefährts von wesentlicher Bedeutung. Ein Irrtum hierüber kann somit zur Anfechtung berechtigen.
Anders sieht es hingegen aus, wenn ein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt, der kein Recht zur Anfechtung auslöst.
Beispiel: Der Käufer kauft ein Wohnmobil, um damit nach Italien in den Urlaub zu fahren. Später findet er heraus, dass das Wohnmobil viel zu groß für die schmalen italienischen Straßen ist. Der Käufer ist hier nicht zur Anfechtung berechtigt – schließlich gehört die Nutzbarkeit in Italien nicht zu den wesentlichen Eigenschaften eines Wohnmobils.
Anfechtungsgrund: Täuschung oder Drohung
Gemäß § 123 BGB kann eine Vertragserklärung auch dann angefochten werden, wenn der Erklärende durch Drohung oder Täuschung zu ihrer Abgabe bestimmt worden ist.
Eine arglistige Täuschung kann z.B. dann vorliegen, wenn der Verkäufer wahrheitswidrig behauptet, das verkaufte Auto sei noch nie in einen Unfall verwickelt gewesen.
3. Die Anfechtungsfrist
Liegt einer der genannten Anfechtungsgründe vor, kann der Betroffene selbst entscheiden, ob er sein Anfechtungsrecht ausüben möchte oder nicht. Steht ihm zusätzlich zum Anfechtungs- auch ein Widerrufsrecht zu, kann er sich auch auf dieses berufen.
Möchte er jedoch von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch machen, kann er sich dazu – aus Rücksicht auf den Vertragspartner- nicht unbegrenzt Zeit lassen. Vielmehr bestimmt § 121 BGB eine Anfechtungsfrist, innerhalb derer die Anfechtung erklärt werden muss.
Zu beachten ist dabei:
Die Frist beginnt erst dann, wenn der Erklärende Kenntnis vom Bestehen des Anfechtungsgrundes, also seines Irrtums oder der falschen Übermittlung, erlangt hat! Ist der Irrtum entdeckt, muss die Anfechtung unverzüglich (das bedeutet: ohne schuldhaftes Zögern) erfolgen.
Beispiel: Hat der Wohnwagenkäufer erkannt, dass das Wohnmobil ohne Motor geliefert wurde, muss er dem Verkäufer unverzüglich seine Entscheidung zur Vertragsanfechtung erklären.
Anders sieht es allein bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung aus. Hier muss die Anfechtung binnen eines Jahres erfolgen (§ 124 BGB). Fristbeginn ist im Fall der Täuschung der Zeitpunkt, in dem die Täuschung entdeckt wurde. Im Falle einer Drohung beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, zu welchem die widerrechtliche Bedrohungslage aufhört.
Praxistipp: Nicht vorschnell anfechten!
Wen der Vertragsschluss im Nachhinein reut, freut sich über das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes. Schließlich kann er sich so schnell, einfach und sogar rückwirkend von der ungeliebten Verpflichtung lösen. Die jeweiligen Leistungen (also beispielsweise Kaufpreis und Kaufgegenstand) werden einfach zurückgewährt und alles ist, als wäre es nie zum Vertragsschluss gekommen.
Ganz so einfach ist es in Wirklichkeit jedoch nicht:
Schließlich bestimmt § 122 BGB, dass derjenige, der die Anfechtung aufgrund eines Irrtums oder der falschen Übermittlung ausübt, zum Schadensersatz gegenüber dem Vertragspartner verpflichtet ist. Dabei ist jeder Schaden zu ersetzen, der durch das Vertrauen auf den Bestand des Vertragsschlusses entstanden ist.
Praktisch bedeutet das: Steht insbesondere Verbrauchern neben dem Anfechtungs- auch ein Widerrufsrecht zu, sollte sich vorrangig hierauf berufen werden. Nur dann, wenn der Anfechtungsgrund so spät bemerkt wird, dass ein Widerrufsrecht schon nicht mehr besteht, lohnt sich eine Vertragsanfechtung.
Durch die Anfechtung kann sich der Verbraucher dann zwar immer noch vom Vertrag lösen, muss aber eventuell für Unkosten des Vertragspartners (Lieferkosten oder sonstige vertragsbedingte Auslagen) aufkommen. Eine solche Verpflichtung, dem Vertragspartner Schadenersatz zu leisten, besteht im Falle eines Widerruf demgegenüber nicht.
Eine Bekannter von mir beschäftigt sich zur Zeit mit einer Beschlussanfechtung. Er kennt sich nicht so gut aus und braucht deshalb einen Experten. Jedoch habe ich den Artikel sehr interessant gefunden und werde ihn ihm empfehlen. Ich wusste nicht, dass eine Vertragserklärung auch dann angefochten werden kann, wenn der Erklärende durch Drohung oder Täuschung zu ihrer Abgabe bestimmt worden ist.